Quo vadis, Volatilität?

Geehrte Leser, am Freitag schwelgten wir in Erinnerungen über Volatilität und ihre angenehmen Seiten für Trader, die ihr Geld nicht mit „Buy and Hold“ in den Indizes verdienen. Damit meine ich die wendigen Gärtner unter uns, um eine Metapher zu bemühen, die den Rasen täglich mähen und nicht einmal jährlich mit der Sense die langen Halme kappen. Volatilität, salopp auch Vola genannt, ist ein Schwankungsbereich während eines bestimmten Zeitraums. Dem unterliegen Indizes, Wertpapierkurse, Rohstoffpreise oder auch Zinssätze.

 

Heute wollen wir uns jedoch die Vola, also den Schwankungsbereich des Dax, etwas genauer anschauen und der Frage nachgehen: Gibt es wirklich sinkende Volatilität, oder hält der subjektive Eindruck der objektiven Auswertung nicht stand?

 

Der Rasen wächst einfach nicht

In unserer gelangweilt nostalgischen Stimmung am Freitag hatten wir auch die Zeit dazu. Der Dax bewegte sich von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr in einem rund 30 Punkte umfassenden Schwankungsbereich. Acht Stunden mit aufgetanktem und blitzblank geputztem Rasenmäher auf wachsendes Gras zu hoffen, ist ungefähr so interessant, wie der frischen Wandfarbe beim Trocknen zuzuschauen.

Scalper werden lächeln ob dieser Frustration, denn sie sind im Sekunden- oder Minutenchart unterwegs und scalpen sich flink auch mal 6 oder 8 Punkte aus dem Markt. Die schneiden den Rasen also liegend mit der Nagelschere. Das ist nicht jedermanns Sache.

Wenn ich Rasen mähe, dann gerne die Vola Gewächse, die mir zwischen 40 und 150 Punkte bringen. Damit meine ich Intraday Wolfe Waves, Schulter-Kopf-Schulter Formationen, gerne auch inverse SKS. Oder Dreiecke in jedweder Form und ABC Formationen, -was auch immer die Börsengötter so sprießen lassen. Aber dafür braucht es Bewegung! Ich trade doch nicht ein Dreieck, dessen innere Höhe 6 Punkte beträgt und mir dann, sofern ich richtig liege, 8 Punkte Gewinn schenkt. Wenn wir da eine Null anhängten, würde ein Schuh daraus.

Zurück zum Freitag. Es zog sich erneut in engster 30 Punkte Range durch den Handelstag und erst 20 Minuten vor Handelsende wurden Schweinchen Dax die Lippen geschminkt, damit es gehübscht ins Wochenende gehen konnte. Von 12.739 nach 12.771 wurde die Tagesrange in Minuten flink nach oben verdoppelt und Dax beendete den Handel am Tageshoch. Und somit nur 6 Punkte unter der MOB Marke 12.776, dem dritten Ziel des Broadening Top und seit Erreichen vor einer Woche ein kräftiger Widerstand.

 

Minutenchart M10 am Freitag:

Im Future bis 22.00 Uhr wurden es sogar 12.790, womit klar sein dürfte, dass Dax am Montag versuchen wird, den Widerstand seit 5. Mai, 12.776 , per Gap up zu überwinden. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass nur via Wochenende und Gap up die großen Bewegungen stattfinden. Das zeugt nicht von Stärke, sondern von trickreichem Hochziehen der Kurse und anschließendem Einfrieren/ Halten des Zugewinns, indem der Dax an den folgenden Tagen ohne jede Volatilität in engster Range gehalten wird. Dazu aber mehr im Ausblick, den ich am Sonntag veröffentlichen werde.

sinkende Volatilität im DAX
DAX Chart

Bildung oder Einbildung?

Während wir also am Freitag im Blog über die alten Zeiten sprachen und nach unserer Erinnerung früher schon in der ersten Handelsstunde 100-120 Punkte Volatilität erreicht wurden, kam mir der Gedanke, das anhand von Zahlen zu überprüfen.

Zunächst nahm ich mir die ersten 19 Wochen des Jahres 2017 vor und verglich diese mit den ersten 19 Wochen des Jahres 2016. Es wurde die durchschnittliche wöchentliche Volatilität ermittelt, indem ich die Differenz zwischen Hoch und Tief einer jeden Woche ermittelte. Diese Ergebnisse wurden sodann mit denen der ersten 19 Wochen aus 2016 verglichen:

Volatilität 2017 vs. 2016:

Das Ergebnis war verblüffend. Hatten wir in den ersten 19 Wochen 2017 eine durchschnittliche wöchentliche Volatilität von 245 Punkten, so waren es 2016 noch 480 Punkte. Die Volatilität in Punkten hat sich also halbiert!
Um die Veränderung auch in Prozent zu vergleichen, erfasste ich den durchschnittlichen Kursstand des Dax in den ersten 19 Wochen der Jahre 2017 und 2016. Es wurden dafür die 19 Schlusskurse der Wochen addiert und anschließend durch 19 dividiert.

Für 2017 ergab das einen durchschnittlichen Kurs beim Dax von 12.012 Punkten. Die wöchentliche Volatilität entsprach also rund 2.01% vom durchschnittlichen Kurs.
Der gleiche Wert für 2016 ergab eine wöchentliche Volatilität von 4.92%. Damit ist klar, dass sich die Volatilität gegenüber dem gleichen Zeitraum 2016 mehr als halbiert hat:

sinkende Volatilität
Tabelle Volatilität

Jeder Intraday Trader sollte also wissen, dass 2017 bislang ein schwieriges Jahr für Setup Trading im Dax war. Wer in die Spalte „Veränderung Woche“ für 2017 schaut, wird außerdem erkennen, dass jeder große Anstieg, ausgelöst durch US und Frankreich Wahlen, in den Folgewochen „gehalten“ wurde. Die Volatilität ging deutlich nach unten, es folgten keine nennenswerten Konsolidierungen.

Sinkende Volatilität 2017 im Vergleich der letzten 6 Jahre:

Das eindeutige Ergebnis im Vergleich 2017 zu 2016 hatte nicht unbedingt statistische Relevanz. Demnach war es notwendig, sich auch die Jahre davor anzuschauen.

Ich wertete also die Zahlen 2011 bis 2016 aus, um diese dann mit den Werten 2017 zu vergleichen.
Der durchschnittliche Wert (Ø) der Kurse 2011 bis 2016 wurde ermittelt, indem der Durchschnitt aller Schlusskurse aus den 52 Wochen der jeweiligen Jahre ermittelt wurde.
Auch mit der Ermittlung der durchschnittlichen Volatilität in den Jahren wurde so verfahren. Es wurde also aus allen 52 (Wochen-) Volatilitätswerten der Durchschnitt ermittelt.

Es ist im oberen Bereich klar erkennbar, dass die normale Volatilität deutlich höher liegt. In den Jahren 2011 bis 2016 lag sie durchschnittlich, siehe das rote Ergebnis rechts, bei 3.91%. Da das Jahr 2017 erst Ende Dezember ausgewertet werden kann, liegt das Ergebnis noch nicht vor. Der aktuelle Vola Wert des Jahres 2017 liegt jedenfalls mit 2.01% deutlichst unter dem 6 Jahre Durchschnitt.

sinkende Volatilität
Tabelle Volatilität

Die ersten 19 Wochen

Um einen weiteren Einblick zu erhalten, habe ich sodann die Jahre 2011 bis 2017 nur für die ersten 19 Kalenderwochen ausgewertet, so dass wir 2017 (zumindest für die ersten 19 Wochen des Jahres) auch mit den anderen Jahren zuvor vergleichen können.

Wie in der obigen Tabelle, jetzt die untere Hälfte der Ansicht, zu erkennen ist, liegt Dax auch hier weit hinten. Die aktuelle durchschnittliche Volatilität liegt mit 2.01% deutlich unter dem Durchschnittswert von 3.74%. Die prozentuale Auswertung ist auch deshalb wichtig, weil eine wöchentliche Volatilität von 242 Punkten in 2013 deutlich höher war als in 2017, denn Dax hatte in 2013 einen durchschnittlichen Kurs von 7.838 in den ersten 19 Wochen. Da haben 242 Punkte natürlich prozentual einen größeren Anteil, als wenn man sie mit 2017, zu einem durchschnittlichen Kurs von 12.012 in Relation setzen würde.

Wenn wir die durchschnittliche Volatilität der ersten 19 Wochen der Jahre 2011 bis 2016 von 3.74% auf 2017 übertragen würden, müsste der Dax, gemessen am Kurs der abgelaufenen Woche (12.771) bei einer Vola von 3.74% eine wöchentliche Volatilität von 477 Punkten aufweisen.

Tatsächlich waren es in der abgelaufenen Woche 123 Punkte und bislang im Schnitt der ersten 19 Wochen nur 245 Punkte. Die sinkende Volatilität ist auch hier deutlich zu spüren.

Fazit

Eine nicht beweisbare Ableitung aus diesen Zahlen würde lauten:

1. Jeder frustrierte Intraday Trader, der Setups größer als 40 Punkte handelt, weiß nun, dass eine gewisse Erfolglosigkeit in 2017 nicht an seinen mangelhaften Künsten liegt, sondern extremen Gaps und nachfolgender eingedämmter Volatilität geschuldet ist.

2. Sollte es den Kurstreibern nicht gelingen, weiterhin mit Gaps und anschließendem Einfrieren der Volatilität dieses Spiel über das gesamte Jahr 2017 fortzusetzen, wird die Vola zu einem unbestimmten Zeitpunkt explodieren. Das gilt besonders für den Fall, wenn Dax sich in 2017 noch dem Mittelwert der letzten Jahre von 3.74% annähern sollte. Oder diesen Mittelwert sogar übertrifft.

3. Wenn die Volatilität wieder in normale Bahnen geraten sollte, ist es unwahrscheinlich, dass diese den Dax nach oben treibt. Es dürfte sich dann eher um Volatilität nach unten handeln. Es sei denn, man könnte annehmen, dass der Dax das Jahr 2017 bei 16.-17.000 Punkten beendet. Die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen lassen diesen Schluss meiner Meinung nach nicht zu.

4. Eine erste Handelswoche, die in der Zeit von Montag bis Freitag, also ohne ein großes Wochenend Gap, eine Volatilität von größer als 470 Punkten erreicht, könnte der Startschuss für eine beginnende Konsolidierung/ Korrektur werden.

Ich wünsche den Lesern und Tradern, dass die sinkende Volatilität bald der Vergangenheit angehört und ein angenehmes (Rest-) Wochenende,

Ihr Marius Schweitz

Über Marius Schweitz 55 Artikel
Marius Schweitz ist seit 2001 aktiver Trader und Betreiber der Trading Community "Projekt30.de". Gehandelt werden Dax, US Indizes, Forex und Edelmetalle. Marius ist spezialisiert auf Wolfe Waves und die Verdichtung von Fibonacci Marken aus unterschiedlichen Zeitebenen, die sodann klare Ausbruchs- und Unterstützungsmarken ergeben.

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